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Die Österreichische Ärzte-Flugambulanz (2)

Flying Doctors

In MOBILE TIMES 5 (>>) haben wir über die technische Ausrüstung der Zentrale der Österreichischen Ärzteflugambulanz berichtet. Diesmal erfahren Sie, wie es an Bord eines der Learjets, die in der Langstreckenversion zum Einsatz kommen, zugeht und wie es dort aussieht.


Außentemperatur minus 62 Grad Celsius. Geschwindigkeit 440 Knoten. Flughöhe 41000 Fuß. Soeben überfliegen wir den 15. Breitengrad, etwas südlich von Khartoum im Sudan. Unser Heading ist 165 Grad, Kurs auf Nairobi, um einen kranken Österreicher abzuholen.
    Wir befinden uns an Bord eines Ambulanzjets der Österreichischen Ärzteflugambulanz. Vor uns liegen noch etwa 1000 nautische Meilen bis zur Landung auf dem Nairobi J. Kenyatta Airport. Der Autopilot steuert die Maschine ruhig und sicher über alle Gewitterzonen hinweg. Die beiden Berufspiloten im Cockpit überwachen ständig die Instrumente. Das GPS (Global Positioning System) ermöglicht eine bodenunabhängige Navigation; "cleared direct to NAGIR". "Roger, Oskar Alfa Fox". Das spart schon Zeit, wenn man nicht immer den Flugstraßen entlang fliegen muß, sondern öfter auch ein "direct routing" von der Luftverkehrsüberwachung genehmigt bekommt. NAGIR ist eine sogenannte "Intersection", ein waypoint auf der Flugroute, auf den der Jet jetzt präzise zufliegt. Danach ist noch etwa eine Stunde Zeit bis zur Landung.

Kabine

Hinten in der Kabine ist gedämpftes Licht. Undeutlich nur sind die Umrisse der aufwendigen medizinischen Ausrüstung wahrzunehmen. Rechts, an der Kabinenwand, ist ein frisch bezogenes Bett zu erkennen. Darunter leuchtet schwach die Bedienungstafel der Versorgungssysteme. Hier werden die Stromanschlüsse, Sauerstoff- und Vakuumsysteme geschaltet. Mittels der sechs 220 Volt-Steckdosen sind alle medizinischen Geräte kontinuierlich zu betreiben. Im Falle eines Ausfalles der Stromversorgung bleibt der Betrieb mittels der internen Akkus noch weitere Stunden aufrecht. Ebenso doppelt abgesichert ist der Sauerstoff-Vorrat, der in getrennten Bordtanks untergebracht ist.

Vitalwerte

Die Patienten-Überwachungsgeräte befinden sich am Kopfende der Liege. Der Monitor erfaßt wichtige Vital-Daten des Patienten. Kontinuierlich werden EKG, Atmungskurve, die Sauerstoffsättigung im Blut, die CO2 Konzentration in der ausgeatmeten Luft und der zentrale Blutdruck dargestellt und mittels Alarmfunktion überwacht.
    Aber auch der Trend wichtiger Werte kann in Form einer Verlaufskurve über mehrere Minuten oder Stunden aufgezeigt werden. Mit dem Beatmungsgerät können unterschiedliche Formen der künstlichen Beatmung durchgeführt werden. Assistierte oder kontrollierte Ventilation sind ebenso möglich wie druckbegrenzter oder SIMV-Modus. Über dreiläufige Motorspritzen werden Medikamente in exakter Dosierung über Stunden gleichmäßig in das Kreislaufsystem des Patienten eingebracht. Griffbereit ist ein Defibrillator angebracht.
    Alle diese Geräte verfügen über Schnittstellen. Verbunden mit einem Notebook, werden die gemessenen Werte laufend gespeichert und ergeben im Sinne eines Patienten-Daten-Management-Systems (PDMS) eine detaillierte Dokumentation über den Krankheisverlauf und die Therapie während des Transportes. Solche und ähnliche Systeme findet man auch an einer größeren Intensivstation eines Krankenhauses. In der Luft, an Bord eines Flugzeuges, haben wir das aber erstmals bei der Ärzteflugambulanz gesehen.

Dispatch

Im Cockpit ertönt ein halblautes Summen. Dieser SEL-Call (selective call) signalisiert einen einlangenden Funkspruch über die HF-Bordfunkanlage. "Dispatch for OAF 217. Do you read?" Die Stimme klingt etwas metallisch aber klar verständlich. Es ist die Einsatzzentrale der Ärzteflugambulanz. Sie hat aktuelle Informationen für die medizinische Besatzung. Der Kapitän dreht sich nach hinten um und gibt dem Flugarzt ein Zeichen. Der greift zum Hörer, der in die Wand eingelassen ist, und ist nun direkt mit dem Einsatzleiter in Wien verbunden. Vor wenigen Minuten hatte die Zentrale wieder Kontakt mit dem behandelnden Arzt in Nairobi und konnte die neuesten Befunde und Laborwerte erfahren. Diese Informationen werden nun an den Flugarzt weitergegeben, der so bestens auf den Patienten vorbereitet ist. "... und viel Spaß beim Baden in Kenia. Over and out". Dr. Engler muß über den Scherz kaum noch schmunzeln, zu viele Jahre, zu viele Einsätze hat er schon hinter sich, und zum "Schwimmen gehen" war bisher noch nie Zeit geblieben. "Aber es tut gut zu wissen", dachte er, "daß da in Wien eine hochmoderne Einsatzzentrale jede Bewegung des Flugzeuges mitverfolgt, alle Vorbereitungen am Zielort schon getroffen hat und ständig über E-Netz oder HF-Funk mit uns in Verbindung ist, egal wo auf der Welt wir gerade im Einsatz sind".

100 Spezialisten

Aus einer Mannschaft von über 100 (!) Spezialisten wird jede medizinische Einsatzcrew dem Fall entsprechend zusammengestellt. Sie besteht in der Regel aus einem Facharzt und einer diplomierten Intensivkrankenschwester bzw einem Intensivpfleger. Zusätzlich zur regulären Ausbildung und den Jahren der Erfahrung auf Intensivstationen und in Operationssälen, wird größter Wert gelegt auf regelmäßige Weiterbildung im Spezialbereich der Flug- und Transportmedizin. Dazu dienen auch technische Übungen und Notfalltraining.
    An Bord eines Flugzeuges ist vieles anders. Druckverhältnisse, Sauerstoffpartialdruck, Venenwinkelbeschleunigung, raumfordernde Prozesse, alles das gilt es bei der Planung und Durchführung einer Patienten-Heimholung zu beachten. Der Luftdruck an Bord eines Ambulanzjets kann individuell eingestellt werden. Um den auftretenden Kräften bei Start und Landung entgegen zu wirken, kann der Patient in verschiedener Weise gelagert werden. Die Liege ist in beide Richtungen (Kopf in oder gegen die Flugrichtung) verwendbar. Fußteil und Kopfteil sind unabhängig von einander höhenregulierbar und als Liegeunterlage sind je nach Art einer Verletzung Schaumstoff-Rippensysteme oder Vakuum-Matratzen zur Verfügung. Einerseits soll eine bequeme Ruheposition bei Vermeidung eines sogenannten "Dekubitus" (Wundliegen) gewährleistet sein, in anderen Fällen ist es lebenswichtig eine starre Fixierung bestimmter Körperteile zu sichern. Diese Erfordernisse gelten auch für den Be- und Entladevorgang. Zusätzlich ist auch in dieser Phase die kontinuierliche weitere Überwachung und der "Life-Support" durch die medizinischen Geräte notwendig.

Beladesystem

Durch die Zusammenarbeit mit führenden Herstellern in Europa und den USA ist bei der Ärzteflugambulanz nun ein Beladesystem im Einsatz, das allen Anforderungen gerecht wird. Über ein Schienensystem gleitet der Patient ohne Kipp- oder Vertikalbewegungen horizontal in das Flugzeug. Auf der selben Schiene gleitet auch der Geräteturm unmittelbar am Kopfende der Liege gleichzeitig mit. So ist ein Diskonnektieren der zahlreichen Sonden, Meßkabel und Versorgungsschläuche in dieser Phase nicht notwendig.
    Die medizinische Ausstattung ist bei aller Leistungfähigkeit möglichst handlich und nicht zu schwer. Da die Ärzteflugambulanz Ihre Patienten direkt vom Auslandskrankenhaus abholt, muß in vielen Fällen die ganze Ausrüstung mitgenommen werden. Nur so ist der geforderte medizinische Standard ohne Unterbrechung während des gesamten Transportes von Bett zu Bett gewährleistet.
    Glücklicherweise benötigt nicht jeder Patient diesen großen technischen Aufwand, - denn, die Ärzteflugambulanz fliegt ihre Mitglieder nicht erst, wenn sie schon auf der Intensivstation liegen, zurück nach Hause. Ganz im Gegenteil. Bereits bei stationärer Aufnahme in ein Krankenhaus im Ausland hat jedes Mitglied die garantierte Heimholung, zum medizinisch ehestmöglichen Zeitpunkt.
    Da gibt es kein "wenn und aber", kein "ärztlich angeordnet" oder "medizinisch notwendig". Der frühestmögliche Zeitpunkt und die Art des Transportes werden hier nach einem international genormten Schweregrad-Schema ermittelt. Denn, bis zur Intensivstation soll es gar nicht erst kommen. Wenn es aber unvermeidbar ist, dann beruhigt es mich zu wissen, daß die Österreichische Ärzteflugambulanz auch dafür gerüstet und vorbereitet ist. 120.000 Mitglieder teilen diese Meinung mit mir.

GF




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 25. Juni 2007
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